Laudatio von Andres Veiel

Die Laudatio von Regisseur Andres Veiel auf Inge Schneider während der Eröffnungsfeier von Filmplus am 13. Oktober 2017:

Inge, du wirst für dein Lebenswerk ausgezeichnet. Wenn ich jetzt heute und hier die Freude und die Ehre habe, die Laudatio zu halten, dann spreche ich nicht nur für mich, sondern für all die, die das Glück hatten, mit dir arbeiten zu können, also etwa 30 Regisseure und Regisseurinnen. Einige sind heute Abend auch hier, um dich und deine Arbeiten zu feiern.

Uns beide verbinden zwei Arbeiten, "Drei von Tausend" und "Die Spielwütigen". 1996 habe ich zum ersten Mal an deiner Tür geklopft. Ich bin mehrfach vorgewarnt worden. Inge würde sich die Projekte sehr genau aussuchen, Absagen seien die Regel, die Begründung wäre kurz: Keine Zeit. Widerspruch sei zwecklos, entweder sie will, oder sie will nicht. In diesem Fall hat das Gesetz für mich entschieden. Du wolltest. Gemeinsam haben wir über sieben Jahre das Erwachsenwerden von vier Schauspielschülern begleitet. Ich habe mehr als 250 Stunden Material angeliefert, du hast daraus das Leben dieser wunderbaren Protagonisten verdichtet, in eine Erzählung gebracht. Aus einem tiefen inneren Mitschwingen mit deinen Protagonisten erspürst du ihren Rhythmus. Und gibst damit jeder Figur ein Eigenleben. Und zugleich gelingt es dir, aus diesem Höchstmaß an Empathie den Atem der einzelnen Figuren zu einem großen erzählerischen Gesamtentwurf zusammen zu fügen. Es ist das Leichte, das Beiläufige, das Ungesagte und dennoch Spürbare deiner Figuren, was du in deiner Arbeit zum Schweben, ja zum Leuchten bringst. Sequenzen, an denen du manchmal Wochen gearbeitet hast, wirken so selbstverständlich und organisch erzählt, dass beim Sehen des fertigen Films keiner mehr ahnt, wieviel Kampf, Mühe und Irrwege diese Arbeit gekostet hat.

Ich habe mich oft gefragt, wie dir das gelingt. Was ist das Geheimnis deiner Virtuosität, die sich immer in den Dienst der Erzählung stellt, die nichts beweisen will, aber gerade deshalb so viel zeigt. Es gelingt, liebe Inge, weil du eine Editorin bist, die sich auf die Figuren und die Arbeit an ihnen mit Haut, Haar und Herz einlässt. Du lachst mit Ihnen, du weinst mit Ihnen. Und du leidest, wenn sie sich nicht in dem Maße entfalten können, wie du es dir wünscht. Etwa wenn das Material an seine Grenzen stößt. Weil es falsch kadriert ist, im falschen Moment weg geschwenkt wird, weil der Regisseur nicht nachgedacht hat. Oder noch schlimmer: zu viel nachgedacht hat und mit irgendwelchen Kopfgeburt-Ideen daher kommt und die auch noch umgesetzt haben will. Dein Rücken beugt sich dann nach vorne, der Blick geht starr auf die Monitore. Erst leise, dann immer lauter fallen dann Begriffe wie „grauenhaft“, mal variiert mit „grauenvoll“.

Wie oft haben wir uns dann ins Wochenende verabschiedet, in der Hoffnung, dass der sich immer mehr festgezogene dramaturgische Knoten durch einen frischen Blick in der neuen Woche schon irgendwie auflösen wird. Aber darauf konntest und wolltest du dich nicht verlassen. Am Sonntag Abend kommt ein Anruf, du möchtest mir etwas zeigen, du seist noch mal kurz im Schneideraum gewesen. Kurz heißt für dich: von Samstag morgen um 8 bis Sonntag Abend 22h, mit wenig Schlaf dazwischen. Aber dann zeigst du mir eine fertig geschnittene Sequenz, in der du alle Fehler der Kamera und der Regie, die das Material an die Grenze des Unbrauchbaren gebracht haben, wie durch ein Wunder ausgemerzt hast. Und dann kommt eine Begründung, die nur von dir stammen kann. „Ich musste das für mich machen.“ Und lachst dabei so wunderbar verschmitzt.

Ja, du musst es für dich machen. Du folgst einer klaren inneren Notwendigkeit, das war schon immer so. Als 12jähriges Mädchen hast du irgendwo in einem kleinen DDR-Dorf einen Film gesehen, der Editorinnen in einem Moskauer Studio bei der Arbeit zuschaute: Riesige Mengen an Filmrollen, die durch den Schneidetisch wanderten und sich über über den Boden ausbreiteten, dabei der konzentrierte Blick auf Material und Monitore... Ab diesem Moment stand für dich fest: Das will ich auch. Du hattest um dich herum Menschen, die dich – ohne irgendetwas von diesem Beruf zu verstehen - unterstützt haben. Deine Mutter hat dir eine Arbeit als Filmkleberin in Halle in einem Studio des DDR-Fernsehens vermittelt, sehr bald wurden dir eigenverantwortliche Arbeiten anvertraut. Du hast dich dann an der Babelsberger Filmhochschule beworben. Für die Prüfung musstest du stummes Rohmaterial des Schlagerfestivals von Soppot montieren – stumm wohlgemerkt. Aber gerade das war deine Chance, dein Talent unter Beweis zu stellen: du hörst den Ton der Bilder auch ohne realen Ton. Du erspürst unter dem Gesagten das Nicht-gesagte, das eigentliche. Vielleicht haben genau das deine damaligen Prüfer erkannt und dich auf Anhieb aufgenommen. Dass deine künstlerische Unbeugsamkeit auch immer eine politische war, haben sie aber damals wohl nicht erkannt. Sonst hättest du den Platz in Babelsberg niemals erhalten. Wenige Jahre später kam die Stasi, nahm dich fest. Dein Mann hatte einen Kalender herstellen lassen mit dem viel sagenden Titel „Bonzenangst“. Nur mit Glück entgingst du einer längeren Haftstrafe und konntest Ende der 70er Jahr nach West-Berlin ausreisen. Du warst nicht nur mit einer neuen Umgebung konfrontiert, sondern auch als selbständige Editorin mit anderen Regelwerken des Fortkommens und der Karriere. Aber etwas hat sich nicht verändert: Das warst du und deine Haltung zu deiner Arbeit.

Sehr schnell hast du wieder in deinem Beruf Fuß gefasst, hast dann mit Regisseuren gearbeitet wie Hans Neuenfels, Thomas Schadt, Marc Schlichter, Conny Walther, einige noch als Studenten an der dffb. Später kamen dann die wunderbaren Arbeiten mit Judith Keil und Antje Kruska: Der Glanz von Berlin und Dancing with myself oder Prinzessinenbad mit Bettina Blümler. Oder der hier bereits mit dem Schnittpreis ausgezeichneten "Raising Resistance" in der Zusammenarbeit mit David Bernet und Bettina Borgfeldt. Um nur ein paar wenige zu nennen.

Allen diesen Arbeiten gemein ist eine beiläufige Präzision. Das ist kein Schnitt, der sich an jeder Klebestelle selbst lobt. Der aber alles tut, das Innere seiner Protagonisten zum feinstofflichen Leuchten zu bringen. Dass das in Zeiten lauter und greller Effekte nicht nur gesehen, sondern in diesem Fall auch in Form eines Preises für das Lebenswerk gewürdigt wird, ist für alle, die das Glück hatten, mit dir arbeiten zu können, eine wunderbare Anerkennung - nicht nur für ein Lebenswerk, sondern auch für etwas, was dich zugleich als Mensch auszeichnet: Respekt und Achtung vor der Würde des anderen. Und die Befähigung, davon etwas in deinen Arbeiten sichtbar nach außen zu bringen. Vielleicht ist das die beste Umschreibung für das, was wir unter Talent verstehen sollten. Und davon, liebe Inge, bist du gesegnet wie kaum ein anderer. Inge, herzlichen Glückwunsch...