Laudatio von Antje Kruska und Judith Keil

Die Filmemacherinnen Antje Kruska und Judith Keil hielten zur Übergabe des Ehrenpreis Schnitt am 16. Oktober 2017 eine Laudatio auf Inge Schneider:

JK: Als wir beide gefragt wurden, ob wir anlässlich dieser Ehrung ein paar Worte an Inge richten möchten, haben wir für unsere Verhältnisse sehr untypisch reagiert. Denn eigentlich reißen wir uns nicht gerade darum, auf einem Podium zu stehen und öffentliche Reden zu schwingen. Die Tatsache, dass wir in diesem Fall sofort gesagt haben: ja, das wollen wir gerne machen! spricht schon genau dafür, was Inge uns bedeutet: nämlich sehr viel!

Vier Filme haben wir zusammen gemacht, und ich hatte das große Glück, dass meine ersten Schritte in die Welt des professionellen Dokumentarfilms mich zu Inge in den Schneideraum geführt haben, als Schnittpraktikantin im Rahmen von Andres Veiels´ „Die Spielwütigen“.
Und nichts hätte mich mehr bestärken können in der Überzeugung, dass ich hier genau richtig bin. An einem Ort, wo man zu bedingungslosen Verbündeten wird auf der Suche nach dem Wesentlichen. Wo man mit Zeit und Hingabe an etwas Berührendem und Klugem baut, das man dann am Ende mit vielen teilen kann. Wo man sich nicht scheuen muss, dem eigenen Gefühl zu folgen, wo alles erlaubt ist und dabei ein großer Respekt und warmer Blick die Grundlage ist. Und wo man extrem viel zu lachen hat. Denn das steht eigentlich über allem: die Wochen mit Inge und Andres haben mir auch gezeigt, was für einen großen Spaß die Arbeit am Dokumentarfilm machen kann.

Ich bin mir sicher, dass dieses Schnittpraktikum bei Inge vor 21 Jahren für mich eine entscheidende Weiche dafür war, dass ich heute immer noch Dokumentarfilme mache. Und dann natürlich, dass ich Antje getroffen habe. Und unser Glück war wiederum, dass wir Inge mitnehmen konnten in unseren Schneideraum!

Und man kann schon sagen, dass man sich im Schneideraum so nah kommt, wie kaum an einem anderen Ort. Man erlebt den anderen in Momenten der Verzweiflung, der Begeisterung, der Bockigkeit, der durchgedrehten Albernheit. Da wird gestöhnt, geflucht, gestritten, gehustet, gefeiert, da werden Tränen geweint und welche gelacht. Man findet Insiderjokes, geflügelte Worte und Sätze, die fürs Leben bleiben: „Schwierige Kiste“, „Schnell, schnell is nich.“ „Das Glück kommt immer von hinten.“ Wenn man diese Tour de force gemeinsam durchsteht und man den monatelang gemeinsam besetzten Schneideraum wieder verlässt, fühlt man sich ähnlich wie nach einer langen intensiven Reise danach tief verbunden.

AK: Und dort im Schneideraum 1998 bei Jens Meurer von Egoli Tossel Films in Berlin Mitte unterm Dach haben wir uns dann also auch zu dritt zusammengefunden, bei unserm allerersten gemeinsamen Projekt, Ausfahrt Ost, über 3 einsame Männer an einer Autobahnraststädte bei Magdeburg.

Im Gegensatz zu Judith, die ja schon das Praktikum bei Inge und Andres gemacht hatte, hatte ich damals von Filmschnitt noch gar keine Ahnung. Und viel andere Filmerfahrung hatten wir beide nicht, weil wir nie an der Filmhochschule waren. Darum muss man wirklich sagen, dass Inge uns als junge angehende Filmemacherinnen total geprägt hat. Wir haben unglaublich viel von ihr gelernt. Und die intensive Arbeit an der Seite von Inge war für uns die allerbeste Schule, die wir kriegen konnten, auch wenn sie manchmal auch ein bisschen hart sein konnte...

Der erste Schritt im Schnitt mit Inge war zunächst immer der Kampf gegen das Material. Wir, einigermaßen stolz darauf, dass wir überhaupt was Brauchbares vom Dreh mitgebracht hatten, wurden dabei zunächst immer kleiner und in unseren großen Erwartungen ziemlich gedämpft. "Wer hat das gedreht? Marcus? Ja, was hat er da denn wieder gemacht? Und wo wart ihr eigentlich?" Fragen, die wir manchmal nicht beantworten konnten.

Dann kam Schritt 2: Leben mit dem, was da ist. Inge stellte dann ihre innere Nähmaschine an, die emsig anfing zu rattern und abends Schwierigkeiten hatte, aufzuhören. Während Judith und ich unsre Erschöpfung fleißig mit Schokolade bekämpften, sparte Inge nach und nach immer mehr Mahlzeiten ein. Sie betrieb das Durchforsten, Ausmisten und Puzzeln des Materials wie eine Wühlmaus, emsig und absolut beharrlich.

Bei Schritt 3 war die Liebe und Loyalität zu den Protagonisten dann so eng gewachsen, dass Inge sie wie eine Löwin verteidigte. Sie tat alles dafür, sie würdig, gefühlvoll und unterhaltsam darzustellen. Judith und ich gerieten in unserer Liebe zu den Leuten manchmal an unsere Grenzen, Inge nie. Daher trieb sie uns an, bis wir nicht mehr konnten. Jede noch so kleine Perle im Material wollte gerettet werden, jedes schöne Bild noch untergebracht. Inge kämpfte um jedes einzelne Frame!

Am Schluss waren wir ein müder, sehr verschworener Haufen und hielten unsre Hände schützend über das kleine Küken Film, das wir gemeinsam in vielen Stunden geschaffen hatten. Sein und somit auch unsre ärgsten Feinde waren nur noch die bösen Redakteure - alle Gefühlsgrobmotoriker - und natürlich die gemeinen Produzenten, die den Zeit-Geld-Hahn immer fest im Griff hatten.

JK: Und dann stand da eben doch irgendwann der fertige Film, von allen abgenommen, der anders nicht hätte sein können oder dürfen. Geprägt von Warmherzigkeit und Humor, einem typischen Ingehumor, der trocken und trotzdem ganz liebevoll ist.
Denn Inge ist auch eine Meisterin in Sachen Humor, im Finden und Bauen von Pointen, die zwar sanft daher kommen, die aber knallen und den Filmen die wichtige Kontur geben, mit der sie die Menschen erreichen. Darin vermittelt sich auch eine Lebenshaltung: nämlich dass man sich bei allen Schwierigkeiten und wahren Traurigkeiten des Lebens, eine Kraft und verbindende Lebendigkeit bewahrt, die einen erhebt über die Schwere und Einsamkeit.
Inge ist immer den Absurditäten des Lebens auf der Spur, mit einem liebevollen Blick und einer Freude an der Poesie des Alltags, die sanft am Tragischen und Komischen entlang gleitet. Diese Spuren sind es, die sie liebt, und wo sie am Schneidetisch zur Hochform aufläuft.

AK: Und wenn der Film am Ende dann auf der Leinwand läuft und hinterher Applaus bekommt und die Zuschauer fragen, wie wir das denn gemacht haben, so nah an unsre Protagonisten heran zu rücken, dann geht ein Großteil dieses Eindrucks auf Inges Konto, denn in ihrem Schnitt liegt die Kraft!

Durch die feine Montage von Blicken, kleinen Regungen und köstlichen kleinen Sätzen wird unser Filmmaterial lebendig und berührt und erscheint manchmal wahrer als das wahre Leben.

JK: Gemeinsam mit dir Inge haben wir unsere filmische Handschrift gefunden und jetzt, wo wir angefangen haben, unserer Filme selber zu schneiden, gibt es kein größeres Kompliment für uns als zu hören, man spüre die Inge in uns.

Und für uns ist es jetzt eine Riesenehre, dir liebe Inge den Ehrenpreis Schnitt überreichen zu dürfen.