Gemeinsam auf Pirsch
Interview mit Christof Schertenleib und Christoph Brunner - Gewinner des Bild-Kunst Schnitt Preis Dokumentarfilm 2017 für Safari (Regie: Ulrich Seidl)
Die Dramaturgie von "Safari" ist sehr ausgefeilt und wesentlich im Schnitt gebaut worden – könnt ihr beschreiben, wie die Inhalte der Jagdsequenzen, die Art der getöteten Tiere und die Zeitpunkte, wann zentrale Dinge wie etwa das Ausweiden eines Tieres zum ersten Mal gezeigt werden, sich stetig steigernd montiert wurden, wie ihr Euch dieser detaillierten Spannungsdramaturgie genähert habt?
Christoph Brunner: Dazu kann ich nur wenig sagen, denn speziell die dramaturgische Reihenfolge der Pirschen war, zu dem Zeitpunkt als ich das Projekt übernommen habe, schon sehr genau festgelegt. Ich habe mit Ulrich viel an dem älteren Pärchen, den Tableauxs und Statements gearbeitet, wobei ich auch da eine sehr gute Vorlage von Christof hatte, von der ich ausgehen und zu der ich auch wieder zurück gehen konnte.
Christof Schertenleib: Die Annäherung erfolgte in kleinen Schritten. Alle Pirschen, alle Jagdsequenzen wurden zuerst einzeln geschnitten, verdichtet, in eine manchmal neue, nicht chronologische Reihenfolge gebracht; da habe ich meist einen kleinen Spannungsbogen gesucht. Bei der ersten Pirsch zum Beispiel wird das Prinzip der geführten Jagd veranschaulicht: Zuerst gibt es nur einen Jagdführer, später, nach einem Fehlschuss des Jagdgastes, kommt Unterstützung von einem Einheimischen. Parallel dazu werden Teile des speziellen Jägervokabulars eingeführt und die Möglichkeiten gezeigt, wie Tiere auftauchen und verschwinden können oder etwa, dass ein getroffenes Tier nur schwer gefunden werden kann. Nach diesem Ordnen und Eindampfen des Materials gab es insgesamt fünf Pirschen und drei Tiere, die ausgeweidet wurden. Schon nach den ersten Visionierungen war ziemlich klar, dass sich die Sequenzen nicht beliebig anordnen lassen. Im Gegensatz zu anderen Filmen von Ulrich Seidl hat sich der Aufbau, die Reihenfolge fast wie von selbst ergeben. Das hat vermutlich auch mit der Grösse der Tiere zu tun, das Ausweiden der Giraffe war in allen Fassungen der Höhepunkt und das Ende der Jagdsequenzen. Im Verlauf der Schnittarbeiten ist dann eine (erfolglose) Pirsch und ein (kleines) Tier, das ausgeweidet wird, weggefallen.
Mit den statischen Tableaus, den Statements der weißen Jäger, den handkamerabegleiteten Jagdsequenzen samt Trophäen-Photosessions und den Eindrücken der schwarzen Lodge-Mitarbeiter gibt es sehr viele Ebenen an Material, aus denen die Gesamtheit des Films entstanden ist - wie ist die Gewichtung dieser Ebenen im Montageprozess entstanden?
Christof Schertenleib: Diese Gewichtung ist, wie bei allen Filmen von Ulrich Seidl, ein langwieriger Prozess. Da wird viel ausprobiert, stets wieder von Neuem visioniert, verworfen, wieder aufgenommen, anders gewichtet, verschoben. Diese Arbeit lässt sich schlecht mit Worten beschreiben, die Suche nach der Gewichtung und dem Gleichgewicht ist vermutlich der wichtigste Prozess bei der Arbeit mit Ulrich Seidl. Nach jeder Rohschnittfassung, nach jeder Vorführung muss Zeit vergehen, bis der nächste Versuch quasi mit frischen Augen und Ohren überprüft werden kann.
Christoph Brunner: An dieser Gewichtung haben wir im Detail bis zum Schluss gefeilt. Ulrich macht sehr viele Testscreenings mit ausgewähltem Publikum. Also Menschen, die er kennt und etwas einschätzen kann. Da gibt’s dann auch immer ausführliche Gespräche nach der Sichtung. Das hilft uns bei der Arbeit, um eine optimale Wirkung des Materials zu erreichen. Das heißt, es wandern zum Teil einzelne Tableaus hin und her oder sind bei einer Vorführung nicht im Film und dann doch wieder drinnen. Erst in der letzten Sitzung vor dem Picturelock, also vor dem allerletzten Picturelock, denn Picturelocks gibt’s mehrere, bekommt dann so ein Bild seinen fixen Platz.
Es ist noch Material nachgedreht worden und hat später Eingang in den Film gefunden - was war das und was hat das für eure Arbeit bedeutet?
Christof Schertenleib: Das waren hauptsächlich Tableaus, gesetzte Bilder mit den schwarzen Angestellten der Safari Lodge: Nach den ersten Rohschnitten hat diese Ebene gefehlt, Ulrich Seidl hat das gezielt nachgedreht. Obschon das gewichtig ist und als wichtiges Element in "Safari" wahrgenommen wird, sind im fertigen Film maximal zehn Einzeleinstellungen dieses Nachdrehs aufgenommen worden. Für die Schnittarbeit mit Ulrich Seidl ist das nichts Aussergewöhnliches: Er dreht meist noch einzelne Einstellungen nach, manchmal auch Variationen oder Wiederholungen, die dann in die Schnittfassungen nach und nach integriert werden. Und manchmal auch wieder wegfallen.
Christoph Brunner: Die nachgedrehten Aufnahmen von den schwarzen Lodge-Arbeitern finden im letzten Drittel Eingang in den Film und öffnen Safari noch mal. Zusätzlich zum Thema Töten kommt dann auch der Rasissmus und Kolonialismus dazu.
Der Schnitt von "Safari" setzt auf sich gegenseitig kommentierende Elemente, auf bisweilen fast satirisches Entlarven der Protagonisten einerseits, beschützt aber genau jene Charaktere auch vor völliger Bloßstellung und menschlicher Diskreditierung - wie schwierig war diese Gratwanderung und inwieweit stützt bzw. konterkariert sie die Autorenhaltung von Ulrich Seidl?
Christof Schertenleib: Diese Gratwanderung ist immer schwierig und wie oben erwähnt mit einem langwierigen Suchprozess verbunden. Da wird stets aufs Neue ausprobiert, abgewogen, diskutiert und weiter experimentiert. Ob das die Autorenhaltung von Ulrich Seidl stützt oder konterkariert ist bei diesem Prozess meiner Meinung nach zweitrangig, wichtig ist dem Autor, dass die Personen glaubwürdig wirken und von sich berichten, sich selber sind, sich nicht selber zensurieren. Bevor die Protagonisten vor der Kamera agieren, findet ein langer Prozess statt. Zu Beginn eine ausführliche Suche nach geeigneten Darstellerinnen und Darstellern, gefolgt von Castings - auch bei Dokumentarfilmen - dann ein intensiver Kennenlernprozess, der lange vor den Dreharbeiten stattfindet und sicher stellt, dass die Personen vor der Kamera im Sinn von Ulrich Seidl funktionieren.
Christoph Brunner: Zu Beginn meiner Arbeit mit Ulrich war das vermeintliche Bloßstellen und Ausstellen der Protagonisten für mich schon ein Thema. Wenn man allerdings sieht, wie er arbeitet und welche Beziehung er zu den Menschen in seinen Filmen pflegt und wenn man erlebt, wie die Protagonisten bei der Premiere, wo sie meistens den Film zum ersten mal sehen, reagieren, dann erkennt man sehr schnell wie viel dieses Bloßstellen und Diskreditieren mit dem Betrachter zu tun hat und wie wenig mit dem Betrachteten.
Sie haben nacheinander an Safari gearbeitet, aber zwischendurch miteinander kommuniziert und Sie haben auch beide schon vorher mit Ulrich Seidl gearbeitet - wie muss man sich die Zusammenarbeit und die jeweiligen Arbeitssessions mit dem Regisseur vorstellen?
Christof Schertenleib: Direkt nach den Dreharbeiten habe ich mit dem Schnitt begonnen und wie immer bei den letzten Filmen von Ulrich Seidl habe ich zuerst allein gearbeitet. Für jede Hauptfigur habe ich einen Ablauf entworfen, eine dramaturgische Entwicklung gesucht. Ulrich Seidl hat sich diese Schnittblöcke und auch Einzelszenen angeschaut, Feedback gegeben und dann habe ich das Material weiterverdichtet, neue Vorschläge gemacht. Sobald die Auswahl enger und präziser wurde, haben wir einige Dinge, die Interviewsequenzen zum Beispiel, zusammen eingedampft, verbindende Themen gesucht und angeordnet. Je weiter der gesamte Rohschnitt voranschreitet, desto mehr ist Ulrich Seidl beteiligt. Ab der ersten Rohschnittfassung finden gemeinsame Visionierungen statt, oft mit ein bis drei Vertrauenspersonen, die seine Arbeitsweise kennen aber noch kein Material gesehen haben. Die Erkenntnisse aus diesen Vorführungen fliessen in die nächste Fassung ein.
Die Übergabe an Christoph Brunner war deswegen notwendig, weil der Schnitt viel länger als geplant gedauert hat (über ein Jahr, mit einigen Pausen) und ich auf einem anderen Projekt verpflichtet war. Weil der Schnitt schon so fortgeschritten war, gab es keinen stetigen Informationsaustausch, ich bin von Christoph Brunner und Ulrich Seidl hin und wieder über den Stand der Dinge und die jeweils vorliegende Fassung informiert worden und habe am Ende noch einmal ein ausführliches Feedback gegeben.
Christoph Brunner: Bei mir ist das so: Ulrich beschwert sich, dass der Maus-Curser am im Avid immer ein roter Pfeil ist, wenn er durch die Timeline scrollen will und dass er nichts findet. Da erwähnt er gerne an geeigneter Stelle, dass Christof Schertenleib eine schweizerische Ordnung im Projekt bewahrt, die mir dann wohl rasch abhanden kommt.
Interview: Kyra Scheurer